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Fidelio

FIDELIO, Leben am seidenen Faden…….

Der Verstand sagte „NEIN“, aber das Herz hat entschieden.

Seit zwei Tagen klatscht der Regen gegen die Fenster, Schmuddelwetter.

Jeder wartet sehnsüchtig auf den Frühling, aber nichts passiert.

Unsere Stute ist hochtragend und steht vor der Geburt, noch 13 Tage sind ausgerechnet. Sie hat einen Kugelbauch, wirkt ein wenig in-sich-gekehrt – das Fohlen in ihrem Bauch bewegt sich viel und sichtbar.

In den Pferdeboxen wird im Winter auf „Matratzenhaltung“ gesetzt, das wärmt in den eiskalten Tagen und Nächten wie eine Fußbodenheizung. Bei den Friesen ist das offensichtlich sehr beliebt, denn am Nachmittag legen sich alle für ein Schläfchen hin. An diesem Nachmittag ist die geräumige Box unserer hochtragenden Stute durchgetreten, ganz anders als üblich – ihre Äpfel liegen nicht schön aufgereiht an der Wand – sollte sie etwa mit den Wehen beginnen? Sie hat keinerlei Harztropfen und benimmt sich „normal“, frisst ihre Ration auf – man muß sich keine Sorgen machen?

Am nächsten Morgen kommt der Schock. Sie steht mit gesenktem Kopf in der Ecke der Box, die Einstreu ist heftig durchwühlt; überall in ihrem Fell klebt Schmutz, sie hat die Nacht mit Wühlen verbracht – und nun fängt sie an, ganz fürchterlich und laut zu stöhnen, so hat man noch niemals ein Pferd gehört! Ihre Haut fühlt sich an wie Eis, der ganze Körper scheint unterkühlt.

Bloß raus aus der Box und in die Halle, damit sie sich bewegen kann. Viel macht sie dort nicht, sie sieht nach draußen in die Ferne, das Stöhnen hört auf.

Der Tierarzt wird angerufen, er ist bereits zum Besamen unterwegs, das wird 3-4 Stunden dauern, bis er zurück ist. Sein Vertreter hat vor 5 min. das Haus verlassen, er muß eine Schwerstgeburt versorgen. In der Not wird eine andere Ärztin konsultiert, die in zumutbarer Nähe ist und binnen 20 min. kommt.

Inzwischen hat sich die Stute in den Sand gesetzt – das kann nicht gut sein, denke ich, es ist eine offene Halle, der Sand ist kalt. Sie steht auf und versucht, zu äppeln, sie drückt und drückt mit aller Kraft – nichts kommt. Sie strengt sich wieder furchtbar an, stöhnt dabei wieder. Zurück in die Box. Die Ärztin kommt, hört ab, untersucht rektal. Der Puls ist hoch. Das Fohlen liegt noch nicht im Geburtskanal, sagt sie, und sie kann nicht weit genug fühlen, weil es dort liegt.

Obwohl sie hört, dass die Stute nicht äppeln kann, entscheidet sie auf „normale“ Kolik. Ich soll mit der Stute lieber in die Klinik fahren, sie könne nichts anderes machen. Sie meldet uns an – die Klinik kenne ich noch nicht. Ich bin ganz allein auf dem Hof, alle sind weg. Die Stute fängt an, ganz furchtbar zu schwitzen. Ich hole Auto und Hänger, zwei Decken übereinander für die Stute, und kann dieses liebe Pferd problemlos allein verladen. Gottseidank, denke ich, die Klinik werde ich schon finden, und wir sind ja angemeldet. Und die Telefonnummer habe ich auch.

Der Regen klatscht an die Autofenster, die Fahrt ist teuflisch. Auf der Autobahn ist eine elend lange Baustelle mit vielen Buckeln – das arme Pferd, denke ich. Ich verfahre mich, verliere viel Zeit, und die Klinik ist obendrein an eine andere Stelle ins abgelegene bergige Umland umgezogen. Mit dem Hänger muß ich durch einen über die Ufer getretenen Bach fahren. Die Stute wiehert leise im Hänger jedes Mal, wenn ich anhalten muß. Die Verzweiflung nimmt zu, ich lande mit dem Gespann in einer Sackgasse mit chicen Einfamilienhäusern und werde – festgefahren – von den Bewohnern furchtbar beschimpft. Ein Diplomatenauto mit Standarte und entsprechend vornehm gekleideten Herrn darin verlangt, dass ich sofort das Gespann nach rechts an den Straßenrand setze, damit sie nicht mit dem eleganten Wagen durch die Pfütze auf der Straße fahren müssen ( das ist wirklich wahr!). Mir laufen die Tränen das Gesicht entlang, die Stute wiehert und ich steige aus, sehe nach ihr, bin im Handumdrehen klitschnaß – und verzweifelt. Wie komme ich hier wieder raus? Da kommt ein Kleinwagen rückwärts zu mir angefahren, der Fahrer kennt sich aus und fährt vor , um den Weg „freizumachen“. 50m vor Erreichen des Endes der Sackgasse steht plötzlich ein Baukran mitten auf der Straße und blockiert alles- keiner kommt mehr durch. Aber der hilfreiche Fahrer findet einen kleinen Seitenabzweig direkt davor. Mit einer Umfahrung schaffen wir es zurück auf die Bundesstraße. Nach langen bangen Minuten erreiche ich mit meiner Stute die Klinik.

Ich soll das Pferd abladen und in den Untersuchungsraum bringen. Aber die Stute ist so fertig von der 2-stündigen Fahrt, sie kann nicht mehr. Minuten vergehen, ich rede leise auf sie ein, sie wird ruhiger – und ganz langsam, Schritt-für-Schritt verlässt sie rückwärts den Hänger. Sie bleibt dahinter kurz stehen, blickt nach allen Seiten, wiehert und folgt mir dann mit langsamen Schritten.

Der junge Arzt untersucht sie stillschweigend. Irgendwann zeigt er auf den Bildschirm des Ultraschallgerätes und sagt, dass es um den Magen herum „grau“ ist. Bei der Punktion des Bauchraumes zeigt er mir die Spritze. Der Inhalt ist rosa gefärbt – „also Blut?“- sage ich. Er sagt, da sind auch Flocken drin. Der Chefarzt kommt hinzu und nun besprechen sie leise die – mir unbekannte – Diagnose. Eine dritte Ärztin kommt hinzu. Auch sie untersucht noch einmal. Das Fohlen boxt im Mutterleib. Da sagt sie den alles entscheidenden Satz:“ das ist aber ein springlebendiges Kerlchen“. Mir wird klar, die Sache sieht gar nicht gut aus.

Und dann sagen sie schnell, dass die Stute nicht zu retten ist.

In 12 Tagen soll das Fohlen geboren werden – was bedeutet das nun? In meinem Kopf ist Feuerwerk -. Ich frage nach der Möglichkeit eines rettenden Kaiserschnittes - Mir werden die hohen Kosten erklärt und auch, dass so ein Fohlen nur 50% Überlebenschance hat- der Termin sei zu früh. Die Stute habe noch zu wenig aufgeeutert, keine Harztropfen, und die Beckenbänder seien noch nicht gesunken.

Mein Schmerz über den Verlust der Stute und das Gefühl des Alleingelassenseins lässt mich nicht mehr klar denken: sie sollen mir sagen, WIE GENAU denn so ein ungeborenes Fohlen im Mutterleib stirbt, wenn die Mutter stirbt. Natürlich sagen sie nichts. Ganz mutig entscheide ich, o.k., 50% sind gut genug, wir machen einen Kaiserschnitt, und dann entscheidet das Schicksal. Die drei Ärzte verschwinden, ich muß mit meiner Stute hinter einer Angestellten in einen OP-Vorbereitungsraum gehen. Dort lässt man uns allein. Alle Wände sind blau und dick gepolstert, sie erinnern mich an den Sportunterricht meiner Schulzeit… Ich streichle ihr über Hals und Kopf und rede mit ihr. Sie hört zu und ist ansonsten ganz gelassen. Das ist also nun das Ende einer so langen Freundschaft, geht mir durch den Kopf…nie mehr wird sie die Herde anführen und ihre Erfahrung und Stabilität auf die anderen Friesen übertragen können…...nie mehr werde ich das begeisterte Wiehern von ihr hören, wenn ich mit dem Futter komme…...nie mehr dieses zarte Blubbern, wenn sie zufrieden ist…...und sie wird ihrem Fohlen weder ihre Liebe, noch ihre Milch, auch nicht die mütterliche Stärke mitgeben können... Ich kann nichts mehr tun, als sie „so“ abzugeben?.....Da fällt mir ein, vielleicht kann ich die hohen Kosten gar nicht erbringen? Mir wird klar, dass ich vielleicht viel zu vorschnell mit der Entscheidung war---ich sehe die Ärztin im grünen Kittel im OP-Raum erscheinen und sage ihr, dass ich es soeben anders entschieden habe. Aber sie sagt nur kurz und knapp: „ das ganze Team ist OP-fertig, nun ist es zu spät.“ Ich soll ins Wartezimmer gehen, binnen 30 min. werde ich benachrichtigt.

Dort steht eine Kaffeemaschine , das Mädchen sagt, ich soll mir eine Tasse Kaffee machen, wenn ich möchte. Die Maschine läuft an, der Kaffee läuft neben die Tasse und an der Schranktür runter.. das auch noch…alles nichts für mich. Ich versinke auf einem Stuhl und zittere und denke und grüble und bin voller Selbstvorwürfe --. Die Tür öffnet sich und der junge Arzt bittet mich, mit ihm zu kommen.

Wir gehen durch mehrere Gänge, kommen in den OP-Raum – dort liegt meine tote Stute auf dem Rücken, an allen vier Beinen aufgehängt, mit Bauchschnitt – aber alles drumherum ist blitzblank sauber, kein Wasser, kein Blut, nichts, was auf Operation hindeutet. Im Vorbeigehen gleitet meine Hand über ihre Seite – ihre Haut ist eiskalt. Hinter ihr, auf dem Boden auf einer dicken blauen Matte atmet ihr Sohn, noch naß, aber er lebt, und sie sagen, seine Lungen sind gut genug für das Leben. Nach der starken Betäubungsspritze für seine Mutter haben sie ihn innerhalb 60 Sekunden heraus und ins Leben zurückholen müssen, höre ich. Sie machen mir natürlich nichts vor, es ist und bleibt riskant – wenn er die ersten Tage schafft, dann sehen wir weiter. Ich hoffe und gebe ihm den Namen Fidelio, der Treue, der Zuverlässige. Er ist meine letzte Erinnerung an die geliebte Mutterstute und er soll eines Tages zeigen, dass er wie sie ist, treu und zuverlässig.

Sie haben sofort alles bestens organisiert, alle paar Stunden wechselten sich Studentinnen ab, er wird zunächst durch eine Sonde ernährt, denn er will nicht saugen. Spätestens nach drei Tagen muß er das können, sagen sie. Über seiner dicken blauen Liegematte ist ein Infrarotstrahler gehängt, der ihn mollig-warm hält. Seine Hüfchen sind noch weißlich mit diesen weichen Gewebefäden darunter, die den Geburtskanal der Mutter während der Geburt schützen sollen, und seine Öhrchen sind weich und viel zu schlaff. Sie sagen, das sei ein Indiz, dass er noch nicht ganz ausgereift sei. Er ist mit Sicherheit das best-überwachte Fohlen in dieser Zeit. Andauernd werden seine Werte bestimmt, und er wird regelmäßig ermutigt, in dem gepolsterten Raum die ersten Schritte zu tun. Das macht er bald auf noch wackeligen Beinen – aber stets achtet er penibel darauf, dass er nach dem kleinen Rundgang GENAU auf der blauen Matte landet.

Als er zwei Tage alt ist, gesellt sich das kleine 4-jährige Töchterchen der Ärztin zu ihm. Sie liegt stundenlang auf genau so einer gepolsterten blauen Matte ihm gegenüber auf dem Rücken, die Strumpfhosen-Beinchen gegen die Wandmatte hochgelehnt – und redet, und redet wie ein Wasserfall. Aus ihrem kleinen Kindermund kommen Fantasiegeschichten vom Fließband. Fidelio verdreht die Augen, er ist müde, aber er hat einen Kumpel, ist nicht allein…….

Am nächsten Tag endlich erfahre ich, warum die Mutterstute eingeschläfert werden musste. Sie hatte eine Darmverlagerung, die dazu geführt hat, dass ein Teil des Darms regelrecht abgeschnürt war und daher die Nahrung sich Richtung Magen zurückstaute. Zuletzt war der Magen so voll, dass es an einer Stelle zum Riß kam, der aber frisch war – zwei Stunden eher in der Klinik hätten sie wahrscheinlich noch retten können: das war genau die Zeit, die ich für die Fahrt gebraucht hatte – wie furchtbar! Woher die Verlagerung genau kam, konnte man mir nicht sagen, der Darm hänge halt relativ „frei“ – vielleicht aufgrund der Setzwehen, die um diese Zeit auftreten?

Täglich werden seine Werte besser, aber eine Amme wird nicht gefunden. Es wird klar: ich muß eine Waisenstation finden, da ich neben meiner „normalen“ Arbeit nicht noch dreimal pro Stunde, und zwar 24 Stunden am Tag, füttern kann. Diese Situation hatte ich in 12 Jahren Zucht noch nie und frage daher meinen Tierarzt, was ich machen soll. Er ist sehr skeptisch und sagt „ tja- die Waisen ohne Amme / Mutter – sie sind so anders“. „Wie“ kann er aber auch nicht sagen.

Nach 9 Tagen Klinikaufenthalt ist Fidelio stabil, kann selbständig trinken, marschiert fröhlich ohne Halfter und Strick hinter dem Menschen her und darf die Klinik verlassen. Ins Freie kommt er mit einer Hundedecke, weil er noch so klein ist, eben ein „Frühchen“. Ich fahre ihn direkt von dort im mit Decken ausgepolsterten Rückabteil meines Kombi auf eine Waisenstation, er ist der erste - und für ein paar Tage dort allein. Das Glück beschert ihm Amme Nr. 1 – es klappt nicht. Er drückt sich lieber an die Menschen. Zwei Tage später noch ein Versuch: eine andere Amme. Beide mögen sich überhaupt nicht, auch das geht schief. Nun ist Fidelio schon 14 Tage ohne Mutter – er wartet auf Kumpels – und die kommen. Er wird liebevoll „Curly“ genannt, denn er hat dichtes schwarzes „Persianerfell“.

Zwei Monate verbringt er dort mit immer mehr Kumpels – er kann mittlerweile aus einer Schüssel trinken – da schleppt ein Nachzögling einen schweren Lungenentzündungserreger in die Gruppe. Alle werden krank, und ich hole vor lauter Angst Fidelio nach Hause ab. Er muß über einen sehr langen Zeitraum Antibiotika bekommen, bis gesichert ist, dass er ganz gesund ist. Alle zwei Stunden trinkt er Fohlenmilch mit einer Unterbrechung in der Nacht von 24h bis 5h. Fidelio trinkt wie ein Weltmeister, es dauert nur Sekunden, bis er die Schüssel leer hat, es schmeckt ihm ausgezeichnet. Bis zum letzten Tropfen schmatzt er den Schüsselgrund leer und guckt einen dann mit weißer Milchschnute an, als ob er sagen will: das war alles? Zuerst hatte ich einen Eimer für ihn, aber wie sich schnell herausstellte, war eine runde Salatschüssel ideal – da kam er in alle Bereiche bis zum letzten Tropfen gut heran.

Die Jährlingsstute neben ihm in der Box war dann auch nicht der Traumpartner – sie hat ihm, weil er ständig Kontakt aufnehmen wollte, in der Nacht in die Baby-Mähne gebissen und eine Wunde gerissen, wohl um seine Aufdringlichkeit abzustellen. Auf der Weide lief er nur uns Menschen nach oder trippelte ständig am Ausgang auf und ab – keine Spur von Kontaktaufnahme zur Herde. Kein Versuch, Gras aufzunehmen. Schließlich gaben wir auf und stellten ihn nicht mehr auf die Weide, weil er dort zu frustriert war. Wir nahmen ihn gleich mit zum Blumengießen oder Hof-fegen. Da war er dann neben einem und beobachtete alles ganz interessiert, hätte er eine Hand gehabt, hätte er sicherlich mitgefegt…. Also wurde wiederum der Tierarzt gefragt, der wegen der Behandlung der Lungenentzündung regelmäßig kam. „Er braucht ein gestandenes Pony“ war sein Rat, “damit er alles lernt, so 8-12 Jahre alt“. Wir gingen auf die Suche nach einem Leih- Wallach, hatten aber keinen Erfolg. Ein Freund hatte eine 8-jährige Ponystute, 122m groß, die er gern zur Verfügung stellen wollte, wir probierten es. Zunächst waren sie tagsüber probeweise auf der Weide – für sich allein ( sonst wäre sie in der Herde verschwunden)- in der Nacht standen sie nebeneinander im Stall. Drei Tage lang hörte man beide auf der Weide quietschen, wenn einer dem anderen nah kam – am vierten Tag war völliges Einvernehmen: die Ponystute war rossig. Fidelio hatte nun eine aufregende Zeit. Obwohl er noch nicht einmal 3 Monate alt war, ließ er sich fortwährend auffordern, sich mit ihr zu beschäftigen. Candy, die Ponystute, neigte sich mehr und mehr ihm zu. Fidelio war rundum zufrieden und beschäftigt. Sie wurden dicke Freunde, grasten Kopf-an-Kopf mit vielen Liebesspielen dazwischen. Fidelio war aufmerksam, aber ungeübt, und viele Aufforderungen von Candy konnten so auch nicht recht umgesetzt werden. Genau genommen verfiel das Pony in eine Dauerrosse. Mittlerweile verbrachten die beiden den Tag mit allen anderen - durchaus unterschiedlich alten - Friesen auf der großen Weide. Die Bindung war stark und hielt über Monate, man könnte sagen, sie waren wie Mutter und Kind , nur ohne dass er bei Candy trank. In jedem Fall war Fidelio sicherlich das einzige Fohlen mit einer eigenen Gouvernante. Wenn einer mit der Milchschüssel an die Weide kam, löste er sich sofort freudig von Candy und preschte auf die Schüssel zu, man musste dann schon ganz gehörig aufpassen, er wurde zunehmend stürmischer ( und stärker) und bremste seinen schnellen Galopp gern erst direkt an der Schüssel ab…. Leider wurde Candy mehr und mehr aus der Herde verdrängt und schließlich als Rangunterste behandelt. Manchmal quiekte sie vor Angst. Fidelio störte das nicht, er blieb vielfach mit ihr am Rand der Herde und graste neben ihr, anstatt mit den anderen Fohlen zu spielen. Fidelio war nun 7 Monate alt, und wir beschlossen die Trennung von Candy, um dem Pony das Leben nicht noch schwerer zu machen.

Da es genügend gleichaltrige Absetzerfohlen gab, sahen wir es als richtig an, Fidelio nun mit Gleichaltrigen gemeinsame Spielmöglichkeiten zu geben. Er blieb in der Herde, Candy ging nach einer Übergangszeit im benachbarten Stall zu ihrem Besitzer zurück.

Drei Wochen lang hat er jeden Morgen auf sie gewartet. Er war schon weit weg in der Herde, kam aber dann zurück, um nachzusehen, ob seine Candy nicht doch noch nachkommt. Das war für uns immer ein sehr bewegender Moment, den wir jeden Tag hinterfragt haben, aber Fidelio sollte ein „richtiger“ Hengst werden, und wir waren es ihm schuldig, alles dafür zu tun, dass er „artgerecht“ aufwächst. Dazu gehört auch in der Natur die Trennung von der Mutter, über den richtigen Zeitpunkt kann man sich streiten.…..Er musste nun auch lernen, Wasser statt Milch zu sich zu nehmen , mit Gleichaltrigen Kraft- und Rauhfutter zu fressen und vor allem ausgedehnt zu spielen………– mit dem Heu hatte es ja schon viele Wochen geklappt.

Dank eines starken Absatzstutfohlens, das dem immer noch schwächeren Hengstchen nicht allzu viel antun konnte, klappte auch das hervorragend. Am Abend blieben die beiden zusammen im Stall, am Tag war die Herde komplett zusammen.

Als er dann zunehmend den „Macker“ heraushängen ließ (sehr selbständig geworden war und offensichtlich nicht mehr hinter den anderen her hing) und die kleine Stute mehr und mehr bedrängte, weil er unbedingt seine Hengstspielchen machen wollte, wechselte er, 10 Monate alt, zu einem gleichaltrigen Kumpel in die große Box, das war sein Cousin. Sie haben am ersten Abend in der Box einen mächtigen Ringkampf ausgefochten. Die Deckenhöhe ist sicherlich 3.40m – wir dachten, sie würden da oben anstoßen….

Aber danach war alles gut....und Ruhe und Gelassenheit kehrte ein. Sie vertrugen sich sehr gut und spielten viel miteinander. Beide schienen gleich stark zu sein, denn sie wechselten ohne Kampf alle paar Tage die Fressposition – jeder ließ aber den anderen seine Ration zu Ende fressen.

Fidelio ist nun ein Jahr alt, und wir sind sehr gespannt, wie es mit ihm weiter geht. Ein stattlicher Jährling ist er geworden, aber zwischendurch saugt er immer noch imaginär mit der Zunge zwischen den Lippen, als säuge er an den Zitzen seiner Mutter.

 

Liebe Friesenfreunde, jeder von uns kann in eine solche Lage kommen, er braucht dann Hilfe und Rat, und das schnell. Daher habe ich meine Erfahrung ausführlich aufgeschrieben in der Hoffnung, dass ich jemanden, der diese Hilfe braucht, zum richtigen Zeitpunkt erreiche.

Man muß wohl wissen, dass sich diese Aufzucht „ nicht rechnet“, niemals wird man auch nur annähernd sein eingesetztes Geld wieder sehen. Die erste Lebenswoche hat 4.000€ gekostet, und dann ging es mit 500€ im Monat weiter OHNE die medizinische Betreuung, die durch die Lungenentzündung verursacht worden war. Für die Kosten von Fidelio´s erstem Lebensjahr hätte man locker einen gut ausgebildeten STER-Hengst kaufen können. Aber ........

Fidelio LEBT! Und: er ist wunderschön. Unvorstellbar, dass er fast seinen ersten Atemzug nicht hätte tun dürfen, sein Leben hing buchstäblich am seidenen Faden!

Fidelio fand in seinem gleichaltrigen Cousin Filou einen idealen Kumpel. Beide wuchsen zunächst in einer kleinen Hengstgruppe im Bergischen Land auf. Fidelio war der Mutigere
und Filou war froh, dass er sich hinter ihm vorsichtig an die „Welt“ herantasten konnte, immer im Windschatten von Filou.

Leider wurde die Hengstgruppe im Bergischen aufgelöst, aber wir konnten für die beiden „Halbstarken“ einen schönen Platz in Friesland finden – saftiges Weideland soweit das
 Auge reicht, fast ein Dutzend Gleichaltrige – da gab es viel zu tun!

Nach dem warmen Sommer auf den friesischen Weiden und der (langweiligen) Zeit im Winterstall, haben Fidelio und Filou nun eine schöne männliche Statur bekommen. Ihre Mähnen sind zwar zerzaust von der gegenseitigen Schmuserei, aber sie genießen noch
immer viel Zeit miteinander. Sie dürfen noch den Sommer über grasen und
heranwachsen, aber zum Herbst beginnt der „Ernst des Lebens“: die Grundausbildung.